P.I.

P.I.
Autor: Martin Wallace
Publisher: Treefrog Games
2-5 Spieler, ca. 45 min, ca. 30 EUR

P.I. - Die Box

P.I. – Die Box

Es gibt gewisse Spiele, um die kommt man in seiner menschlichen Entwicklung (ähm) irgendwie nicht rum. Mensch ärgere dich nicht, Dame, Mühle, Monopoly, Schach – das hat wohl jeder, der nicht gerade hinter den sieben Zwergen haust, mal in den Griffeln gehabt. Der nächste Level Gamertums führt dann meistens in Richtung Risiko oder Cluedo. Und da wären wir beim Thema. Cluedo ist der Großvater aller Deduktionsspiele, also der Spiele, in denen der Spieler nicht durch bloßes Würfelglück oder Karten-zur-rechten-Zeit-ausspielen zum Erfolg kommt, sondern durch eigene Geistesleistung, logisches Denken, Ziehen von Schlussfolgerungen und beherztes Kombinieren den Sieg erringt.

Nun ist “Cluedo” nett, aber nicht perfekt – die unnötige Herumlauferei auf dem Spielplan, damit man irgendwo eine Verdächtigung aussprechen kann, führt dazu, dass man bei Würfelpech wertvolle Züge abschenken muss; Chancengleichheit sieht anders aus. Ich spiele “Cluedo” trotz seiner Schwächen durchaus gerne (auch wenn ich aktuell kein Exemplar besitze), dass das Potential der Grundidee eleganter ausgeschöpft werden könnte, ist allerdings nicht nur mir klar, sondern auch einer Menge Spieleautoren, die sich immer wieder mit unterschiedlich großem Erfolg daran versuchen, ein “besser spielbares Cluedo” zu entwickeln. Auf der SPIEL 2012 testete ich zwei dieser Versuche an – “Lady Alice” aus dem Hause Hurricane gefiel durch die thematische Ankopplung an Sherlock-Holmes-Lore und ein angemessen viktorianisches Design, fiel allerdings aufgrund einer ausgesprochen unhandlichen Spielmechanik durch den Rost.  “P.I.” aus der Feder des umtriebigen Martin Wallace (“Scheibenwelt: Ankh-Morpork”, “Doctor Who: The Card Game”, “Brass”, “London”, “Age of Industry”) durfte allerdings mit mir nach Hause.

Der Spielplan - Bogey fühlt sich wie zuhause...

Der Spielplan – Bogey fühlt sich wie zuhause…

Jeder Spieler übernimmt in “P.I.” die Rolle eines Privatdetektivs, der ein Verbrechen aufzuklären hat. Hier liegt schon ein wesentlicher Unterschied zu “Cluedo” begraben – jeder Detektiv arbeitet an einem anderen Fall! Herauszufinden gilt es, wer wo welches Verbrechen begangen hat. Die Antworten liefert – hoffentlich – der jeweils rechte Nachbar, der drei Karten in Händen hält: eine Orts-, eine Verbrechens- und eine Verdächtigenkarte (man selbst hält dann, logischerweise, die Karten für seinen linken Nachbarn – spielt man mit mehr als drei Spielern, haben also nicht alle Spieler miteinander zu tun). Wie kommt man nun, wenn nicht durch grobes Herausprügeln, an die Informationen, die man zur Klärung seines Falls braucht?

Hier kommt der Spielplan ins, äh, Spiel. Dieser zeigt vierzehn Tatorte, die allesamt mit Feldern für Verdächtigen- und Verbrechens-Plättchen ausgestattet sind. Die Verdächtigen und Verbrechen wurden zufällig auf diese Felder verteilt, wobei es durchaus Tatorte gibt, an dene kein Verbrechen verübt wurde und/oder kein Verdächtiger zu finden ist (was aber an und für sich bereits eine wertvolle Information darstellt). Jeder Spieler hat fünf Detektive zur Verfügung, die er jeweils an einen Tatort schicken kann (er setzt ihn einfach auf das betreffende Feld, eine Bewegungsphase ist nicht erforderlich). Der rechte Nachbar muss nun Auskunft geben, ob er die entsprechende Tatort-Karte bzw. die ihr zugeordneten Verbrechens- bzw. Verdächtigungskarten in Händen hält. Wohlgemerkt: er muss nicht sagen, *welche* Karte, nur, *dass* er eine (oder mehrere – sind’s gleich alle drei, war’s für den Detektiv halt ein einfacher Fall) besitzt. Der Fragesteller kann nun seinen Detektivmarker mit einem (oder mehreren) Scheiben-Hinweismarker versehen. Hat der Gefragte keine passende Karte auf der Hand, muss er prüfen, ob auf einem der direkt angrenzenden Felder eine “seiner” Karten einschlägig ist – er muss wie vorhin nicht angeben, welche Hinweise auf welchem Feld zu finden sind, nur *dass* es solche Hinweise gibt. Der Fragesteller markiert bei solchen Auskünften seinen Detektiv mit einem Würfel-Hinweismarker.

Die Spielmaterialien auf einen Blick

Die Spielmaterialien auf einen Blick

Nun sind fünf Detektive nicht die Welt – es besteht eine berechtigte Chance, dass das Verbrechen ungeklärt bleiben würde, hätte man nur diese Möglichkeit, an Hinweise zu kommen. Dem ist freilich nicht so. Für jeden Tatort, jeden Verdächtigen und jedes Verbrechen existiert eine Hinweiskarte. Von diesen Hinweiskarten werden neun offen neben dem Spielplan ausgelegt. Der Spieler am Zug kann nun, anstelle einen Detektiv einzusetzen, eine dieser Hinweiskarten aufnehmen und seinen “Informanten” zu dieser befragen. Der Befragte muss nun Auskunft erteilen, ob der angefragte Hinweis ein “Volltreffer” ist oder auf einem der direkt an das Feld, auf dem der/das Angefragte “sitzt”, angrenzenden Felder ein Treffer zu finden wäre. Im Gegensatz zur “Detektiv”-Anfrage betrifft die Auskunftspflicht nur die jeweilige Hinweisart, d.h. fragt man nach einer Person, muss der Angefragte auch nur über Personen Auskunft geben etc. Die Scheiben- bzw. Würfelmarker werden auf das zur Hinweiskarte gehörende Plättchen auf dem Spielplan gesetzt.

Glaubt man, das Mysterium aufgeklärt zu haben, schreitet man zum Lösungsversuch. Liegt man richtig, hat man die Runde gewonnen und kassiert dafür sieben Punkte, liegt man falsch, erhält man zwei Strafpunkte, darf aber weiterspielen. Die weiteren Platzierungen werden ausgespielt, Spieler, die ihr Verbrechen bereits gelöst haben, müssen natürlich weiter für Informationen zur Verfügung stehen. Wer nach drei Spielrunden die meisten Punkte gesammtelt hat, ist Meisterdetektiv, darf sich Phillip Marlowes kleiner Bruder nennen und ist abgesehen davon auch noch Sieger.

Der grüne Detektiv hat ermittelt - der Tatort, das Verbrechen *oder* der Verdächtige stimmt..

Der grüne Detektiv hat ermittelt – der Tatort, das Verbrechen *oder* der Verdächtige stimmt..

“P.I.” macht in der Tat vieles von dem, was bei “Cluedo” suboptimal ist, richtig – der Verzicht auf eine langwierige Bewegungsphase beschleunigt das Spiel enorm, die Idee, die Grundlage für die eigenen kriminalistischen Überlegungen nicht durch kompliziertes Zettel-Ausfüllen, sondern durch einfache plastische Hilfsmittel (die Hinweismarker) zu schaffen, macht das Spiel wesentlich visueller, zugänglicher und weniger “buchhalterisch”. Dass jeder Spieler seinen eigenen Fall zu bearbeiten hat, nimmt den “Cluedo”-Effekt, mehr oder minder gezwungen zu sein, auch die Ermittlungsarbeiten der Konkurrenten zu beobachten und daraus Schlüsse zu ziehen, komplett heraus – man kann nun, ist man weder als Detektiv noch als Informant gerade gefragt, die “downtime” nutzen, um in Ruhe seinen Überlegungen nachzugehen und muss dabei noch nicht mal krampfhaft darauf achten, den Rivalen keine unfreiwilligen Hinweise zu geben, weil die ja eh andere Ermittlungsziele haben.  Schön ist, dass auch “Nullauskünfte” kein verschwendeter Zug sind – im Gegenteil, zu Spielbeginn kann einem kaum etwas besseres passieren, als ein-zwei Schulterzucken des Informanten zu kassieren; damit lässt sich dann nämlich in Nullkommanix der halbe Spielplan ausschließen, was dann auch die Auswahl der vorzugsweise zu nutzenden Hinweiskarten (die natürlich permanent wieder auf neun offen ausliegende aufgefüllt werden) beeinflusst. Die Interaktionsmöglichkeiten sind verständlicherweise gering – mehr, als dass ein Konkurrent einem die Hinweiskarte, die man brauchen könnet, wegschnappt, kann eigentlich nicht passieren – durch das System, dass man auch Auskünfte über “Nachbarfelder” erhält und so im Zweifelsfalle auf eine entsprechend “benachbarte” Karte umsteigen kann, wird dieses Hindernis ansatzweise ausbalanciert, so dass – die generellen Unwägbarkeiten, die entstehen, da die Hinweiskarten zufällig nachgezogen werden – die Chancengleichheit durchaus gewahrt und die Kombinationsgabe des Spielers der entscheidende Faktor bleibt (und zudem spielt man eh drei Runden, so dass die Wahrscheinlichkeit, dass solche Effekte sich über das Gesamtspiel hin ausgleichen, hoch ist).

Eine Auswahl Hinweiskarten

Eine Auswahl Hinweiskarten

Die Spielsystematik ist zudem recht offen – obwohl vom Regelwerk nicht vorgesehen, lässt sich “P.I.” auch mühelos als Team- oder “alle-gegen-einen”-Spiel spielen; aus der falschen Erklärung, die man mir in Essen angedeihen ließ (man müsse als Informant bei einem “Mehrfachtreffer” nur einen zugeben), lässt sich eine verschärfte Variante basteln.

Wir hätten also schon mal ein grundsolides Spiel, das mit einem überschaubaren Regularium auskommt, Spaß macht und dabei logisches, schlussfolgerndes Denken verlangt, aber das ist noch nicht alles. Ich LIEBE das Artwork – Treefrog Games hat in der Hinsicht alles richtig gemacht und die naheliegende Entscheidung getroffen, aus “P.I.” eine Art “film noir”-Spiel zu machen. Alls Tatorte, alle Charaktere tragen deutlich die Züge des typischen End-40er-Hollywood-Noirs (noch konsequenter ginge es nur, wenn man Spielplan und Karten in schwarz-weiß gehalten hätte…), vom Elendsviertel bis zur Trocadero-Bar fühlt man sich in die Welt des “Malteser Falken” hineinversetzt. Wenn man dann auch noch ein bisschen rollenspielmäßig aufgelegt ist und die Tisch-Dialoge entsprechend führt (ich persönlich empfehle, eine Schreibtischlampe aufzubauen und dem Informanten mitten in die Visage zu leuchten. Dann wird er schon singen)…

Für Martin Wallace, dessen Spiele sich üblicherweise auf der happigeren Seite einpendeln, ist “P.I.” sicher recht leichtgewichtige Unterhaltung – aber als solche exzellent. “P.I.” ist das beste mir bislang bekannte Deduktionsspiel: ausgewogenes, übersichtliches Gameplay, sehr begrenzte Zufallsfaktoren, wunderbares Artwork: ein Spiel, das Aufmerksamkeit verdient hat!

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